Ignoranz, Überheblichkeit, Ungerechtigkeit. Und Menschen, die die Identitätskrisen von anderen als lächerlich abtun.
Die Identitätskrise als solche befällt unter anderem Menschen, denen man keine drei Meilen gegen den Wind ansehen würde, dass sie das Wort Krise überhaupt kennen. Diese Menschen haben eine liebe Familie, tolle Freunde, einen Job, ein Studium, interessante Hobbies und obendrein meist auch noch eine glückliche Beziehung. Aber sie sind trotzdem unglücklich.
Über eine solche Frau hat
Ulrich Köhler einen Film gemacht, mit dem schönen Titel
"Montag kommen die Fenster". Endlich ein Film, dem es gelingt, etwas in Bilder zu fassen, was so oft unbeschreiblich scheint: das quälende Gefühl, dass hinter dem Leben mehr stecken muss als das, was auf der Oberfläche spürbar ist. Auch ein Film, der die Unfähigkeit des intimsten Umfelds (der eigenen Familie) mit der Krise umzugehen und das Unverständnis thematisiert.
Bei der anschließenden Diskussion gab es dann aber tatsächlich Menschen, und in diesem Fall muss ich leider sagen Männer, die die Protagonistin für geisteskrank erklären wollten.
Wie bitte? Ist es geisteskrank, unglücklich zu sein? Habe ich automatisch das Recht auf eine Identitätskrise verspielt, wenn bei mir alles ganz gut läuft? Wer oder was schreibt mir mein Leben eigentlich vor?
Ich konnte mich nicht an der Diskussion beteiligen, weil ich unsachlich geworden wäre. Das kommt nicht gut im voll besetzten
Gartenbaukino... Aber das Thema hat mich in den letzten Tagen auch privat in den diversen Ausprägungen beschäftigt (was vielleicht mit ein Grund war, warum ich gerade diesen Film unbedingt sehen wollte).
Das Ausbrechenwollen aus erstarrten Strukturen, wie es auch der Regisseur formuliert hat, erscheint vielleicht als einzige Möglichkeit, sie wieder selbst wahrzunehmen in einer Umgebung, in der einem Partner, Freunde, Familie, "die Medien" sagen wer man zu sein hat. Dieser verzweifelte Wunsch sich zu finden, war einmal eines der typischsten Merkmale fürs Erwachsenwerden. Heute ist es ein typisches Merkmal für gerade erwachsen gewordene. "Wenn ich einmal groß bin" ist kein Ausdruck der Hoffnung sondern der Bedrohung für meine Generation.
Ja das klingt hart, aber ich kenne niemanden in meiner Umgebung, der keine Angst vor der Zukunft hat. Der eine definiert seine Zukunft über seine Beziehung, denn nur wenn er nicht alleine ist und sich der Liebe einer anderen Person sicher sein kann, ist er auch sicher genug um glücklich zu sein. Der andere ist in einem Alter, wo angenommen wird, dass er weiß was er vom Leben erwartet, eine Ausbildung und langsam aber sicher auch einen gesicherten Job haben sollte. Hat er aber nicht und das lähmt ihn. Die dritte ist seit zwei Jahren Journalistin und hat es endlich geschafft, sich zu einer Fixanstellung hochzuarbeiten. Auf dem Weg dahin ist fast ihre Beziehung zerbrochen und sie hat bis heute ihre Diplomarbeit nicht fertig geschrieben. Die vierte hat den ersten Abschnitt eines Doppelstudiums in Rekordzeit hinter sich gebracht und unterbrochen, weil sie das Gefühl hatte, dass etwas fehlt. Sie ist seit zwei Monaten in Frankreich und kehrt so bald nicht zurück. Eine Bekannte ist für zwei Jahre nach London gezogen - ohne Zimmer, ohne Job, Hauptsache weg von dem, was hier war. Ein Mädchen im enfernteren Bekanntenkreis hat ihrer große Liebe in Chile gefunden. Ihr Pflichtbewußtsein ihrem Studium und der zukünftigen (lange geplanten) Karriere gegenüber hindert sie, zu ihm zu ziehen. Wie viele Geschichten wollt ihr noch? Ich kenne noch ein paar.
Alle diese Menschen und ich mitten unter ihnen, könnten in Köhlers Film eine Rolle spielen. Und keinem von diesen Menschen würde man auf der Straße ansehen, dass er oder sie unzufrieden sind. Nach außen hin ist alles in Ordnung, da sind wir cool, gefasst, erfolgreich und strahlend. Unsicherheit ist Schwäche. Wer nicht weiß was sie/er will, hat verloren. In was für einer Welt leben wir eigentlich?