Kino

Samstag, 30. Dezember 2006

Ode an die Kinder

Es ist selten, dass mich ein Film noch lange über sein Ende hinaus wirklich beschäftigt. "Babel" ist einer davon.

Inarritu ist bekannt für seine kunstvoll verschachtelten Geschichten (21 Gramm, Amores Perros) und bei Babel ist ihm das wieder einmal wundervoll gelungen. Vier Schicksale beginnen an drei verschiedenen Orten dieser Welt und führen schrittweise zueinander. Ein Ehepaar in der marokkanischen Wüste, eine Familie, deren Söhne dort mit einem Gewehr spielen bis ein Schuss fatale Folgen hat. Eine mexikanische Nanny, die zur Hochzeit ihres Sohnes fahren möchte und ihre amerikanischen Pflegekinder kurzerhand mitnimmt, und schließlich eine taubstumme japanische Schülerin, die verzweifelt Liebe sucht und deren Vater immer wieder für den Selbstmord ihrer Mutter verantwortlich gemacht wird. Am Ende scheinen alle dem Tod geweiht, doch wieder greift das Schicksal ein...

Die Kritiken sagen recht undifferenziert, dass Babel ein Film über fehlgeschlagene Kommunikation ist, frei nach der biblischen Geschichte. An der Oberfläche ja, aber ich sehe mehr dahinter.

Natürlich spielt Sprache eine Rolle (den Film übrigens unbedingt im Original ansehen - auf IMDB steht unter Language: Japanese Sign Language / French / English / Spanish / Japanese / Berber / Arabic !) und Kommunikation und ihr Ge- oder Misslingen ist ein wichtiger Teil des Films. Aber was im Gedächtnis bleibt, ist etwas anderes. Inarritu widmet den Film seinen Kindern, "den großartigsten Geschöpfen dieser Welt". Und viel wichtiger als die Kommunikation an sich ist die Kommunikation mit den Kindern. Die blutende, schwache Cate Blanchett will nichts anderes als mit ihren Kindern sprechen. Als sie zu sterben glaubt, sagt sie zu ihrem Mann Brad Pitt, dass er ihre Kinder nie wieder verlassen dürfe. Die japanische Schülerin kämpft um die Liebe ihres Vaters und wirft ihm im Streit vor, ihr nie die gleiche Aufmerksamkeit zu schenken, wie es ihre Mutter getan hat. Die beiden Brüder haben gemeinsam die Idee, auf den Bus zu schießen, als es aber zur Konfrontation mit der Polizei kommt, ist es der "richtige" Schütze, der sich stellt um den Bruder zu retten.

Babel ist ein Film über Kinder und Eltern, über Erziehung und Entwicklung, über (ja - Kommunikations-)Fehler und wie die Generationen mit ihnen fertig werden - gekrönt von der beeindruckende schauspielerischen Leistung aller Darsteller.

Mittwoch, 29. November 2006

Glück in kleinen Dosen

Eigentlich hatte ich die Kritik zu diesem Film schon fertig, schön geschrieben, nicht zu lang, in sich schlüssig - und dann: Serverfehler, twoday war nicht mehr erreichbar, meine Kritik futsch. Lektion fürs nächste Mal: Texte vorschreiben....

In die perfekte Kleinstadt mit perfekten Menschen, Jobs und Häusern platzt der Selbstmord eines Teenagers - und mit einem Mal bekommt die perfekte Fassade gehörige Kratzer. "The Chumscrubber" wie der Spaß im Original heißt, ist einer der abgedrehtesten Filme, die ich je gesehen habe. Drogen, erste Liebe, absolut albtraumhafte Eltern, ein Psycho-Vater, ein durchgeknallter Teenie als Chef einer Dealer-Bande, die einen kleinen Jungen entführt, der zufällig der zukünftige Stiefsohn des Bürgermeisters ist - die absolute Verflechtung all dieser Schicksale gelingt, dank Drehbuchautoren, die bereits Million Dollar Baby oder Crash (mit)geschrieben haben.

Ganz tolle Schauspieler, eine wirklich interessante Story und ein super-Soundtrack (Snow Patrol, Placebo - Herz was willst du mehr?) - sehenswert!

Freitag, 24. November 2006

Filmkritik einmal anders

Tina: Das war also der neue James Bond.
Julia: Ja... Gar nicht mal so schlecht, ich hab nicht gedacht, dass ich das sagen würde. Ich dachte immer, Bond muss dunkelhaarig sein und immer alles richtig machen. Aber der ist am Anfang ja richtig patschat!
T: Naja, jeder fängt mal an, oder? Aber diese Historizität ist auch gleichzeitig der Schwachpunkt finde ich - manchmal ist die Geschichte überhaupt nicht stimmig.
J: Man darf halt die Chronologie nicht berücksichtigen.
T: Schon, aber M ist doch älter geworden und das passt so gar nicht zu einem "Anfänger" Bond. Er bekommt seinen Doppelnull-Status und in der gleichen Szene sagt M "Ich vermisse den Kalten Krieg", später gibt es Bezüge zum 11. September und zur "Terrorgefahr". Und dann die Frauen - eine Liebesgeschichte, die ihn für alle Zeiten unfähig macht, eine andere zu lieben? Das ist wieder sehr historisch, wenn man daran denkt, was er in den anderen Filmen für Frauen verschleißt...
J: Ja. Aber es ging diesmal gar nicht um das Retten der Welt, oder? Bloß das bisschen Geld und die paar Schurken.
T: Hehe, gar keine Atombomben oder sonstige Apokalypsen...
Was hältst du denn von Daniel Craig?
J: Der ist schon toll... Der hat einfach was, mir gefällt er sehr gut!
T: Ja mir auch. Wie der frech und arrogant manchmal rüberkommt, das ist schon sehr sexy.
J: Aber Q ist diesmal gar nicht dabei gewesen...
T: Ja und Moneypenny gibt es auch noch nicht. Das haben sie sicher gemacht, um in den folgenden Filmen noch etwas dazufügen zu können.
J: Kann sein, aber ich finde das waren alles Sachen, die einfach zum Gesamterlebnis James Bond dazu gehört haben. Es ist schon schade, dass das völlig fehlt.
T: Da hast du schon recht, so ganz ohne technische Spielereien ist es einfach nicht das gleiche. Trotzdem ist es gut gelöst, manchmal einen Bezug herzustellen. Das Beste war ja, als der Barkeeper ihn gefragt hat, ob er seinen Martini geschüttelt oder gerührt haben will: "Sehr ich aus als ob ich darauf Wert legen würde?" Super!
J: Die Dialoge waren zeitweise wirklich toll, witzig, geistreich, pointiert. Gut geschrieben und bei jemand anderem als Craig nicht denkbar.
T: Dein Resumée?
J: Kein typischer James Bond, aber ausbaufähig. Das Problem ist halt, dass man immer mit den "alten" Filmen vergleichen wird.
T: Ja und daran kommt er noch nicht heran. Betonung auf "noch". Aber ich steh auf Daniel Craig, da bin ich sehr neugierig, was die nächsten Filme bringen werden.

Montag, 6. November 2006

Message in a Cigarette?

Eine Botschaft von einem Film zu verlangen mag der schlimmste Faux Pas einer Filmwissenschaftsstudentin sein. Und doch denke ich, dass eine Hollywood-Produktion mit dem einfallslosen Titel "Thank you for Smoking" zumindest eine Botschaft haben sollte, wenn der Rest schon bloß Durchschnitt ist. Klingt hart, ist auch so. Ein netter unterhaltsamer Nachmittagsfilm, wenn es nicht ums Rauchen ginge. Ein paar ganz gute Gags, skurrile Szenen mit Mittelklasseschauspielern (Rob Lowe, Katie Holmes, um nur zwei zu nennen), aber schlussendlich ein Film, dessen Eindruck schnell verraucht (Gott, was für ein Wortwitz...).

Der Tabak-Lobbyist Nick Naylor (kreative Namensgebung, ich vermute die Romanvorlage unter den Schuldigen) kann sich 92 Minuten lang nicht so recht zwischen Job und Moral entscheiden und auch seine eigene Nikotinsucht erscheint völlig unglaubwürdig, sieht man ihn doch nicht ein einziges Mal an einem Glimmstengel ziehen. Auch dass Nick rechtzeitig vor Filmende seine Gesinnung um 180 Grad dreht, erscheint mehr wie ein Zugeständnis an republikanisch-koservative Wertvorstellungen als eine der Realität entnommene logische Entwicklung. Schade.

Montag, 23. Oktober 2006

A Scanner Darkly

Das Viennale-Programmheft versprach viel: Ein Richard Linklater-Film (Before Sunrise, Before Sunset), Keanu Reeves in der Hauptrolle, ungewöhnliche Optik durch Rotoskopie, große Namen bei den Nebenrollen (Woody Harrelson mal wieder in Hochform - als Freak, was sonst). Psychedelisch sollte es werden, ein Kinoerlebnis zwischen Drogenrausch und Paranoia.

Nun ja. Die Idee war gut, die Ausführung... Aber wahrscheinlich liegt das in erster Linie daran, dass ich einen guten Teil der Gespräche nur teilweise verstanden habe. Wenn ein Haufen durchgeknallter Amerikaner auf Drogen über ihre Erlebnisse mit noch mehr Amerikanern und noch bunteren Drogen diskutiert, fällt die Sprachbarriere doch manchmal ins Gewicht. Dazu kommt, dass durch die (wirklich sehenswerte!) Animation die Mimik der Schauspieler nicht deutlich genug erkennbar ist, um das Verständnis zu erleichtern. Winona Ryder als Reeves "Mädchen" ist charakterlich leider zu flach geraten, was die unglaublichen männlichen Nebendarsteller (Robert Downey Jr., Woody Harrelson, großartig: Rory Cochrane) dreimal wettmachen. Im letzten Drittel verliert der ohnehin unrhythmische Film noch an Schwung, was mich auf die Uhr schauen hat lassen - kein gutes Zeichen...

Mein Resumé: Auf DVD holen und nochmal die deutsche Fassung schauen ;)

Freitag, 20. Oktober 2006

Filmtipp

* * *
"Vibrator", Japan 2003
Regie: Ryuichi Hiroki

Trotz des seltsam anmutenden Titels der absolut beste Liebesfilm, den ich seit langem gesehen habe. Und der untypischste (falls es so etwas wie einen typischen Liebesfilm gibt). Tolle Story, tiefgründiger Figurenhintergrund, unglaubliche Darsteller, verblüffende Erkenntnisse über die Liebe. Perfekt.

Ach ja: nichts für schwache Mägen, aber für die Seele ;)

Montag, 16. Oktober 2006

News from Home

Habe heute meinen ersten Viennale-Film dieses Jahres gesehen, den ersten von insgesamt acht.

Amos Gitai verfolgt seit 25 Jahren das Leben in und um ein Haus im Westen Jerusalems und heftet sich immer wieder an die Fersen seiner BewohnerInnen. Der vorläufig letzte Teil der Trilogie entstand 2005 und ist bei der V'06 zu sehen.

Gitai ist Israeli, geboren in Haifa, und als solcher könnte er aus einer Dokumentation über den Nahen Osten (das Haus steht laut Regisseur als Metapher für das Land und den Konflikt) leicht einen Propaganda-Film gegen die Palästinenser machen. Aber offensichtlich haben sich die Positionen nicht nur in Europa sondern auch in Israel selbst liberalisiert - zumindest auf einer künstlerischen Ebene. Gitais Film ist ein Portrait der vertriebenen und enteigneten Generation der Palästinenser, die im Zuge des israelischen Unabhängigkeitskrieges 1948 zu Tausenden Haus und Hof verlassen haben und nach Jordanien und andere Nachbarländer geflohen sind.
Auch die ursprünglichen Bewohner des "Hauses" leben heute in Amman und machten (unfreiwillig) Platz für algerische Einwanderer. Gitai spricht mit allen Beteiligten und kommentiert seinen Film aus dem Off.

Das Endergebnis ist für mich ein unerwartetes: Gitai ergreift Partei für die Flüchtlinge (so weit so gut) und sieht die Lösung des Siedlungsproblems indirekt in einer Rückgabe aller Häuser an ihre Erbauer(!). Haben alle Kriege, Verhandlungen, Intifadahs nichts genützt? Ist nicht längst klar geworden, dass das NICHT die Lösung des Problems sein kann? Dieser Ansatz führt nicht zu einer friedlichen Lösung, sondern nur zu noch mehr Krieg und noch mehr Gewalt. So hat doch alles angefangen! Außerdem ist es schlicht undurchführbar, jedes Haus an die Familie zurückzugeben, die es gebaut hat. Das funktioniert doch nicht! Irgendjemand wird immer unzufrieden sein.

Ich sage nicht (und wer wäre ich, wenn ich es täte), dass ich wüsste wie man den Nahost-Konflikt beilegen kann. Darum geht es hier auch nicht. Aber die Siedlungs- und Flüchtlingsthematik ist einer der größten Konfliktherde mit den verhärtetsten Fronten. In einer Zeit, in der die Diplomatie den Vorrang vor allem haben sollte, ist es unverantwortlich, einen Film zu machen, der Maßnahmen propagiert, die in der Vergangenheit zu Krieg geführt haben.

Dienstag, 19. September 2006

Immer der Nase nach

Dacht ich mir und habe mich breitschlagen lassen "Das Parfum" anzuschauen. So schlimm wie ich nach den Kommentaren meiner Kollegen und diverser größerer Medien erwartet hatte wars dann auch gar nicht. Tolle Bilder und eine Kameraführung, die im Ansatz versucht hat, das umzusetzen, was Süskind durch unnachahmlich geniale Sprache geschafft hat: Die Welt der Gerüche vor einem auf zu tun.

Versucht heißt aber leider nicht automatisch gelungen, womit das Hauptproblem auch schon evident wird. Film ist nun mal nicht Literatur und Bilder wirken anders als Worte. Warum diesen Umstand leugnen? Da geht es einfach nicht, jede literarische Idee ohne Adaption in den Film zu übernehmen. Offensichtlich wird das beim Erzähler: Er wirkt im Film an vielen Stellen überflüssig, nirgends jedoch mehr als wenige Minuten vor Schluss. Da erklärt er denen, die es bis dahin noch immer nicht begriffen haben, worum es denn im Film geht und was der Schluss, den wir zu dem Zeitpunkt noch nicht kennen (außer wir haben das Buch gelesen), denn bedeuten soll. Schrecklich! Wenn es ein Film in 90 Minuten nicht schafft, seine Botschaft in Bilder und Gesten zu packen, dann frag ich mich ernsthaft, was Regie und Drehbuch bis dahin geleistet haben. Oder anders gesagt: Glaubt Tykwer nicht an die Kraft seines eigenen Werks? Hält er uns Zuschauer gar für blöd?

Der Gestus der Geschichte ist toll. Nur stammt er leider (oder Gott sei Dank?) nicht von den Drehbuchschreibern (Birkin, Eixchinger, Tykwer). Deshalb: Buch top, Film flop. Aber diskutiert darüber doch bei einem entspannten Milchkaffee ;)

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